Ende Oktober nahmen unsere Doktoranden Christian Werner und Lucas van der Meer am Cycling Research Board Annual Meeting (CRBAM) in Wuppertal teil. Man kann wohl sagen, dass diese Veranstaltung ganz anders ist als eine gewöhnliche wissenschaftliche Konferenz. Beim CRBAM soll eine offene und integrative „Campingatmosphäre“ entstehen. Die traditionellen Keynotes werden durch Workshops im Plenum ersetzt, an denen sich alle aktiv beteiligen können. Auch die weiteren Beiträge sind interaktiv und ansprechend gestaltet. So wird das Konzept monotoner PowerPoint-Präsentationen mit kurzen Fragerunden vermieden und der Konferenzablauf neu gedacht. Dazu zählt auch, dass nicht nur wissenschaftliche Publikationen einen Platz im Tagungsprogramm erhalten. Auch wilde Ideen, Feedbackrunden und geimeinsames Brainstorming sowie Berichte über gescheiterte Arbeiten können eingebracht werden. In der Praxis hat sich gezeigt, dass dieses Konzept zu tiefer gehenden Diskussionen führt und sowohl für die Vortragenden als auch für das Publikum sehr wertvoll ist.
Diese Rahmenbedingungen waren perfekt für uns, um Feedback zu unserem automatisierten Workflow zur Bikeability-Bewertung einzuholen. Die Ursprünge dieser Modellierung reichen ein Jahrzehnt zurück, zuletzt wurde die Entwicklung aber auf die nächste Stufe gehoben: im vergangenen Jahr veröffentlichten wir unsere Open-Source-Toolbox NetAScore. Die Toolbox ermöglicht, die Eignung aller Straßen in einem Gebiet für das Radfahren bzw. zu Fuß gehn automatisiert zu bewerten. Der resultierende „Bikeability“- bzw. „Walkability“-Index setzt sich aus mehreren Indikatoren zusammen, aus denen ein gewichteter Durchschnitt berechnet wird. So fließt z. B. der Zustand der Fahrradinfrastruktur, die Steigung, die Straßenkategorie und der Belagstyp in die Berechnung mit ein. Die Indikatoren werden dabei aus frei verfügbaren OpenStreetMap-Daten abgeleitet. Dadurch lässt sich der Index weltweit berechnen – entsprechende Datenqualität vorausgesetzt.
Wir gestalteten unseren Workshop als virtuelle Fahrradtour durch die Gastgeberstadt Wuppertal. An jedem Tisch erhielten die Teilnehmenden ein Foto einer Straße aus Wuppertal oder der näheren Umgebung. Die Bildauswahl haben wir zuvor mittels geschichteter Zufallsstichprobe aus Mapillary generiert (jede Schicht repräsentierte dabei eine bestimmte mittels NetAScore berechnete Bikeability-Klasse). Die Teilnehmenden wurden gebeten, die Straße auf einer Skala von „sehr ungeeignet zum Radfahren“ bis „sehr geeignet zum Radfahren“ zu bewerten, ohne die berechnete Bikeability zu kennen. Außerdem baten wir sie, die gezeigte Situation mit ihren „Mitradlern“ zu besprechen und positive sowie negative Einflussfaktoren aufzuschreiben. Im Anschluss daran konnten sie die mittels NetAScore berechnete Bewertung sehen und mit ihrer eigenen Einschätzung abgleichen. Am Ende dieser „Radtour“ durch Wuppertal baten wir die Teilnehmenden, die von uns in NetAScore verwendeten Indikatoren hinsichtlich ihrer Bedeutung zu bewerten. Noch fehlende Indikatoren konnten ergänzt und ebenfalls bewertet werden.
Wir waren sehr erfreut über die rege Teilnahme an unserem Workshop und positiv überrascht von der Menge und Qualität der Rückmeldungen. Derzeit ist Christian mit der Auswertung der Ergebnisse beschäftigt. Wir werden diese dann selbstverständlich veröffentlichen! Insgesamt konnten wir eine recht gute Übereinstimmung unseres Index mit den Bewertungen der ExpertInnen für die gezeigten Bilder feststellen. Natürlich wurden aber auch Schwächen aufgezeigt. Einerseits gibt es Grenzen der Widergabe einer realen Infrastruktursituation in all ihren Facetten mittels OpenStreetMap-Daten. Aber auch darüber hinaus gibt es noch viele Möglichkeiten, unseren Arbeitsablauf individuell anzupassen und zu erweitern. NetAScore ist nach wie vor in der Entwicklung, und das Feedback von der CRBAM wird uns dabei sehr helfen. Stay tuned!
Bitte helfen auch Sie uns weiter mit Ihrer Einschätzung zur Infrastruktureignung: Kommen Sie mit auf eine virtuelle Fahrradtour durch Wuppertal und Salzburg und nehmen Sie an unserer Online-Umfrage teil.
Vielen Dank!
Am Donnerstag teilte dann Lucas seine Überlegungen zur Entwicklung einer anderen Sichtweise für die Erfassung der räumlichen Erreichbarkeit in der Fahrradstadt. Die Art und Weise, wie die Erreichbarkeit derzeit gemessen wird, entstammt einer sehr autozentrierten Sichtweise der Verkehrsplanung. Die Fahrt zum Zielort wird dabei lediglich als Kostenfaktor betrachtet und hat keinen eigenen Nutzen. Beim Radfahren kann die Fortbewegung selbst jedoch eine angenehme Erfahrung sein, weil wir unsere Umgebung bewusst wahrnehmen und kleine soziale Interaktionen stattfinden. Diese Erfahrungen können sich auch positiv auf unsere Wahrnehmung der Erreichbarkeit eines Wegziels auswirken. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass wir unsere Straßen so gestalten, dass sie dieses positive Erleben auch fördern. Unser derzeitiges Konzept der Erreichbarkeit fördert die Menschen-zentrierte Straßengestaltung jedoch nicht. In Anbetracht derzeitiger Entwicklungen hinsichtlich Datenverfügbarkeit und der Weiterentwicklung von Datenanalysewerkzeugen ist unser Ziel, die Vorteile aktiver Mobilität in die bestehenden quantitativen Rahmenwerke für die Erreichbarkeits-Bewertung einzubeziehen. Diese Forschung ist Teil des EU-finanzierten CITWIN-Projekts, das diesen Monat offiziell begonnen hat. Wir werden bald mehr darüber berichten! Zum Ende der Konferenz erhielt Lucas einen der „Best Camper Awards“, die vom Urban Cycling Institute verliehen wurden. Damit wurden Beiträge ausgezeichnet, die die Camping-Prinzipien der Konferenz hervorragend umgesetzt haben. Die Gummibärchen in Schwebebahn-Form wurden mit großer Freude angenommen und verspeist. Vielen Dank!
Die CRBAM-Teilnahme war für uns eine sehr positive Erfahrung und wir sind mit vielen neuen Ideen und Erkenntnissen nach Hause gereist. Ein herzliches Dankeschön an die OrganisatorInnen in Wuppertal (insbesondere Cat Silva, Leonard Ainring und Heather Kaths) sowie an das Urban Cycling Institute für die Organisation einer so besonderen Veranstaltung! Wir freuen uns schon darauf, unsere Zelte und Isomatten für das kommende Jahr zu packen, in dem die ETH in Zürich Gastgeber sein wird.
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